5. SIEGFRIEDS TOD Siegfrieds Tod (7. Düsseldorf)
mit den 7 Performerinnen:
Silvia Ziranek, Hanna Frenzel, Siglinde Kallnbach, Regina Frank, Jana Haimsohn, Nina Hoffmann, Natalia Pschenitschnikowa
einmalige Veranstaltung in der Muffathalle, 27. Oktober 1993
 
  Nina Hoffmann bei SIEGFRIEDS TOD   Foto: Inge Ofenstein
 
SZ vom 29. 10. 93
MYTHISCHES HORRORMÄRCHEN
Alexeij Sagerers "Siegfrieds Tod" in der Muffathalle
 
(...) Deutschland - ein Horrormärchen, mythenschwer. Alexeij Sagerer, der Lichtspender, wirft Schlagschatten über die sieben Thing-Plätze seines Theaterspiels, das auch Stadt, Land, Fluß heißen könnte.
Sagerer, der Zauberer, zählt das Hexeneinmaleins, rechnet 7 x 7. Nach den deutschen Flüssen sind die deutschen Städte dran, Dresden, Berlin, München, Hamburg, Stuttgart, Frankfurt, Düsseldorf, übereinandergeschichtet in Bildern auf je 7 Monitoren, gestapelt zu sieben Videotürmen. Sieben Frauen assoziieren simultan "Siegfrieds Tod" - in sieben Phasen von sieben Minuten.
Der deutsche Held selbst tritt nicht in Erscheinung. Sind es sieben Brünnhilden, die hier spielerisch, blutig, obszön die Quittung für Siegfrieds Betrug präsentieren? (...) Ein Tag in Deutschland auf den Städtevideos spiegelt die Harmlosigkeit des Alltags. Die Mythen scheinen sicher begraben zu sein. Sagerer hält seine Scheinwerfer drauf und spielt "follow the leader". Alexeij, wir folgen dir. Denn die Prozession durch das "Nibelungen & Deutschlandprojekt" ist aufrüttelnde Expedition mit viel Kommunikation: Deutschland, im Herbst, 1993, kompakt.
 
Eva-Elisabeth Fischer

 
MÜNCHNER MERKUR vom 29. 10. 93
WITZ GEGEN GEWALT
Münchner Muffathalle: "Siegfrieds Tod"
 
(...) Mit der Sieben, der biblischen, der mystischen Zahl, hat Sagerer die Fünf (des klassischen Dramas) abgelöst. Aber statt ins Märchen der sieben Zwerge entführte er uns in ein bös-schönes Disney(Deutsch)land zwischen Dresden und Düsseldorf. Seine (Ost-West!) - "Straße" ist rechts und links gesäumt von sieben Video-Türmen à sieben Monitoren und sieben Podesten. Darauf werben gleichzeitig sieben Performerinnen um unseren Blick, unser Ohr. Während wir, umgeben von 49 Bildschirmen, immer (Sagerers selbstgedrehte) vorbeiflimmernde Beton-Szenerien im Augenwinkel haben, holt Jana Haimson aus ihrem kleinen stampfenden Körper, aus ihrem gelenkigen Stimmorgan Brünhildes Überlegenheitsbeweis. Gegenüber richtet die nackte Sieglinde Kallnbach für sich Kriemhildes Blutbad an. (...)
 
Malve Gradinger
AZ vom 29. 10. 93
TOD KNOCHEN AUFERSTEHUNG
Muffathalle: Alexeij Sagerers unmittelbares Theater mit "Siegfrieds Tod"
 
(...) Drei Frauen, jede für sich eindringlich, jede allein genug, liefern sich Erstarrungsprozessen aus. Todessymbolik. Nina Hoffmann verwandelt sich in eine dräuende Wachsplastik, die zarte Hanna Frenzel versinkt allmählich im Salz, beklemmende Angstreise bis ans Herz, Regina Frank näht sich in goldschimmerende Gaze ein, eine sanft dahinsinkende Skulptur. (...)
 
Ingrid Seidenfaden

 
tz vom 29. 10. 93
SIEBEN MAL SIEBEN
"Siegfrieds Tod" in der Muffathalle
 
Vom verkabelten Nibelung und seinen sieben Verführerinnen: In der Muffathalle machte Alexeij Sagerer ein Ende mit Siegfried. "Siegfrieds Tod" heißt der neueste Teil seines Nibelungen & Deutschlandprojekts und es ist der bisher aufwendigste und grandioseste Teil. (...) Jede Performerin hat das Thema in eigener Sprache verarbeitet, gespielt wird gleichzeitig. Meist spiegelt sich - es spielen Frauen - Siegfrieds Tod in Brünhildes Reaktion. Erstarrung: Hanna Frenzel läßt sich in einer durchsichtigen Röhre mit Salz verschütten; Nina Hoffmann bepinselt sich mit heißem Wachs, bügelt es dann platt - das großartigste Bild des Abends. Dagegen das wilde, sich sinnlos drehende Aufbegehren: Jana Haimsohn hüpft und tänzelt atemberaubend wie ein Perpetuum mobile und Sieglinde Kallnbach übergießt sich nackt mit Tierblut, schleudert Fleischstücke gegen ein Hakenkreuz. Dazu die wunderlich schönen Flötenklänge von Natalia Pschenitschnikova, die sich mit den Videos deutscher Städte, mit den Schreien, Tönen, Gesängen und dem Licht mischen zu einem totalen Theaterereignis. - Sagerer ist der letzte Dinosaurier des Münchner Theaterlebens, er hat immer wieder etwas zu sagen und je größenwahnsinniger und phantastisch-ausufernder er losschlägt, umso schöner ist sein Theater: Eine Sucht.
 
Reinhard J. Brembeck

 
  Hanna Frenzel bei SIEGFRIEDS TOD in der Muffathalle

 
APPLAUS, Dezember 93
"SIEGFRIEDS TOD"
In der Muffathalle
 
Im Zeitalter der Reproduzierbarkeit von Kunst gibt es nur noch wenige wie Alexeij Sagerer, die unermüdlich gegen den Strom des Zeitgeists schwimmen, indem sie an die Idee eines unmittelbaren, einmaligen Theaterereignisses glauben. Die Szene gab ihm recht - an die 600 Anhänger strömten zur einzigen Aufführung der jüngsten Etappe des großangelegten "Nibelungen & Deutschlandprojekts" in die Muffathalle. (...)
Sprache und Klang, Bewegung und Starre, Enthüllung und Verhüllung, radikales sich Verausgaben und extreme Reduktion sind die Pole des Erfahrungsspielraums, den die Performerinnen durch ihre Simultanaktionen aufspannen. (...)
 
Silvia Stammen

 
"ô" FASHION, FETISH & FANTASIES Nr. 21 Jan. 94
UNMITTELBARES THEATER: NIBELUNGENPERFORMANCE
 
(...) Vier der sieben Darbietungen waren besonders beeindruckend: So etwa das "Einspinnen" der gelernten Haute-Couture-Schneiderin Regina Frank, die sich - ganz deutsche Innerlichkeit - in Gaze einnähte und sich inmitten dieses Chiffonkokons in kaum faßbarer Langsamkeit mit einem Koffer von Ost nach West bewegte. Oder die Wahlberlinerin Hanna Frenzel. Sie stand mit einer Gasmaske in einem überdimensionalen Reagenzglas und ließ sich mit 200 Kilo Salz zuschütten: "Chronos" nennt sie diese Performance als lebende Sanduhr; bei einer früheren Aufführung wäre sie fast erstickt.
Skurril agierte die Londonerin Silvia Ziranek. Inmitten eines grellbunten Spielzeugwunderlands rezitiert sie im Sprechgesang aus Wagners Partituren. Dessen akustische Leitmotive macht sie visuell sichtbar: Ein blinkendes Plastikschwert etwa steht für Siegfried, Kriemhilde zeigt sich als buntes Lametta. Ergriffenheit kommt keine auf; der Mythos wird der Lächerlichkeit preisgegeben. Das stärkste Bild aber bildete wohl die gebürtige Jugoslawin Nina Hoffmann. Mit einem Tapezierpinsel strich sie sich heißes Wachs über Kopf und Körper, wieder und wieder bis sie unter der harten Masse zum nahezu erstarrten Kunstobjekt geworden war. Dann - und dies im wahrsten Sinne des Wortes - bügelte sie alles wieder aus. Der Anblick des heißen Eisens, das das Stearin auf ihrer Haut wieder zum schmelzen brachte, ließ den Atem stocken. (...)
 
Angela Stascheit

 
HYBRID - THE INTERNATIONAL CROSS-ARTFORM , dec. 1993/mar 1994
PROT
Siegfrieds Death - Nibelung & Germany Project (III-2) Muffathalle, Munich
 
(...) Particularly impressive were the final two contributions, accompanying Frankfurt and Dusseldorf: Nina Hofmann turned herself into a living wax sculpture with the help of a cauldron of hot wax, a tarring brush and a hot iron, and Natalia Pschenitchnikova from Moscow improvised with voice and flute in her Lung Music, reacting with immense subtlety and energy not only to the other performers but also the towers of flickering video images. Shot in the seven cities at seven different times of day, Sagerer/Siegfried is seen in this sequence of short films processing across reunified Germany from East to West with a red cross on his back, foreshadowing both his own imminent death and Kriemhild's subsequent revenge. A brief clip from Lang's Siegfried brought this full-blooded and compelling station of Sagerer's ongoing Nibelung and Germany Project to a fitting conclusion.
 
Martin Brady