Süddeutsche Zeitung, 14. März 2001 MÜNCHNER KULTUR
 


 
 
 

Zurück ins Mittelmaß


Der Marstall unter Elisabeth Schweeger vermittelte eine Ahnung davon, was Theater sein kann
 
 
 
 

Er ist Münchens etabliertester unabhängiger Theatermacher: Alexeij Sagerer prägt seit mehr als 20 Jahren die Szene. Nun macht er sich Gedanken über die Zukunft des Marstall, Gedanken, die sich zwischen dem Innen als Inbegriff der Institution und dem Außen als Zeichen der Unabhängigkeit bewegen. Mit einem ernüchternden Ergebnis.
 
 
Niemand scheint genau zu wissen, wie es damals dazu kam, Elisabeth Schweeger den Marstall zu geben und sie dort eine eigenständige Qualität entwickeln zu lassen. Wahrscheinlich muss man Eberhard Witt Weitsicht und Mut bescheinigen, vielleicht dem bayerischen Kunstminister Hans Zehetmaier, möglicherweise war aber alles nur ein Missverständnis.
 
Vorher gab es im Marstall selbstgebraute Experimente. Experimente, wie sich eben das Innen - das Staatstheater, die Macher der Institution - ein anderes Theater vorstellen kann: entweder problemsüchtig, schwerfällig im Wechsel mit kunstgewerblicher Ernsthaftigkeit, oder als hauseigene Nachwuchs-Stube, als Herausforderung des "Kleinen Raumes" - und grundsätzlich als Beweis, dass Institutionen alles leisten können. Dieser Marstall hatte keine Öffnung zum anderen Theater, zum Theater des Außen, das unabhängig vom System der Stadt- und Staatstheater die theatralen Räume weiter treibt: Das Theater der Künstler, der nomadischen, momentanen Verteilung, der Differenz und der "verrückten" Potenzialität, die notwendig ist für eine lebendige, komplexe Vorstellung von Theater.
 
Dem gegenüber der Marstall von Elisabeth Schweeger: die Membran einer Institution, über welche diese mit dem Theater des Außen in Berührung kommt, ohne dabei die Künstler zu vereinnahmen und zu Staats-Künstlern zu machen. Auch nicht eine weitere Institution, die im Außen Ordnung stiftet, und den Künstlern den rechten Weg weist, sie ist die Öffnung der Institution selbst. Die Institution einmal nicht defensiv überheblich, ihre gesellschaftliche Position und hochsubventionierte finanzielle Überlegenheit demonstrierend; sie ist eine Institution, welche die Vorgehensweisen der Künstler respektiert und stärkt und eine Ahnung ermöglicht, was Theater eigentlich ist: Theater, die Mutter aller Künste.
 
Alles, was das Staatsschauspiel unter Dieter Dorn vorhat, wird nichts mit dem Marstall Schweegers zu tun haben. Dazu hat Dorn sich deutlich genug geäußert: "Der größte Fehler von Witt war, dass er den Marstall selbstständig arbeiten ließ." - "Zeitgeist-Schuppen, Modernistisches Zeug". Der Marstall unter Dorn wird eine Fortsetzung des Werkraums der Kammerspiele. Die bisherige Situation wird ziemlich rücksichtslos beendet.
 
Durch den Umzug des Marstall ins Haus der Kunst scheint sich nun eine Erwartung einzustellen, als wäre doch irgendetwas möglich. Diese Erwartung wird noch gestärkt, wenn von der "wunderbaren Adresse Haus der Kunst" gesprochen wird, man dieses zum "Haus der Künste" erhebt, um dann "dichter an die bildende Kunst heran zu kommen". Sieht sich Dorn gleich mit der Kunst im Bunde, nur weil der Marstall umgebaut wird und er ein Ausweichquartier findet? Die Zusammenarbeit zwischen Theater und Kunst fand und findet längst im Außen statt - unter anderem im Marstall von Schweeger - und hat wirklich nicht darauf gewartet, vom Staatstheater des Dieter Dorn quasi im Umbau entdeckt zu werden.
 
Es wäre fatal, würden die Verantwortlichen in München erwarten, dass die Präsenz eines anderen Theaters im "kommenden Marstall" irgendwie ähnlich fortgesetzt würde. Diesen Marstall erdenkt die Institution. Er kann nicht das Außen des Theaters produzieren. Dies gilt auch umgekehrt: Das Außen kann nicht die Institution machen, ohne sein eigenes Wesen zu verändern.
 
Stromberg in Hamburg kann man vorwerfen, dass er den Eindruck erweckt, als hätte er die Liga gewechselt, während er in Wahrheit die Disziplin gewechselt hat. Dass er so tut, als könnte er mit dem Theater des Außen einfach die Institution herstellen. So als würde sich dieses danach sehnen, endlich neu verteilt und ausgeglichen zu werden, anstatt auf dem Unterschied zu bestehen. Wobei - unter dem Triumphgeheul der Angepassten - die Qualität des Außen auf der Strecke bleibt. Dabei verwandelt sich die Unwahrscheinlichkeit des Außen in die Vorhersehbarkeit des Innen, der Institution. Die "verrückte" Verteilung scheint endlich wieder getilgt und die Mittelmäßigkeit der Stadt- und Staatstheater träumt weiter den Traum, das gesunde, natürliche Medium zu sein und erzeugt in sich das Gefühl, als produziere sie das absolute Theater. Und niemand kann sich vorstellen, was das Außen noch vorhaben könnte.
 
So das Fußballspiel immer mehr zur gesunden Maloche breitgespielt wird und die Spiele sich immer mehr gleichen.
 
So wie auch das Rind sich nicht mehr in der Einmaligkeit eines Kalbes weiterschreibt, sondern "industriell" unbegrenzt in jeder Menge und gleich bleibender Qualität erzeugt wird -als "professionelles" Schlachtvieh, das solange als gesund gilt, bis es auf BSE stößt.
 
Das Staatstheater ist die "Industrialisierung" des Theaters, das in beliebiger Menge und beliebig oft herstellbar ist. Gib mir einen Auftrag, und ich liefere die gewünschte Menge Theater! Dies bedeutet die Illusion der Repräsentation. Dies darf nicht die einzige offizielle Vision von Theater in München sein.
 
ALEXEIJ SAGERER
 
 
 
 

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