"Gebt auf, bewerbt euch bei den Institutionen!"
Ein Interview mit Alexeij Sagerer von Simone Lutz
S. L.: Alexeij, Du machst seit über 45 Jahren Theater und bist mit dem proT einer der
profiliertesten Theatermacher aus München. In diesem Jahr hast Du Dich erstmals in Deiner
Karriere dazu entschlossen, keinen Antrag auf Förderung zu stellen.
A. S.: Die Situation der Subvention freien Theatermachens in München hat sich im Laufe ihrer
gut vierzigjährigen Geschichte deutlich zu Ungunsten des künstlerischen Prozesses verändert.
Anfangs habe ich bei der Stadt schon die Lust auf ein Anderes, ein Unbekanntes wahrgenommen.
Auf etwas, das außerhalb ihrer Institutionen entsteht, das noch nicht gedacht und abgesichert
ist. Dieses andere Theater war keine Initiative des Kulturreferates, sondern es entstand in den
70ern dadurch, dass die freien Künstler, eben auch das proT, eine enorme Wirkung und Sichtbarkeit
hatten. Jetzt erscheint es, als wüsste die Verwaltung nicht nur, wie Institution geht, sondern
auch wie freie Kunst geht und vor allem, wie sie zu gehen hat und wo sie hin soll. Vielleicht
bin ich aber auch naiv, was die 70er Jahre anbetrifft und die Kontrolle der Prozesse war immer
schon das Hauptmotiv der Förderung und man war sich nur noch nicht sicher, wie weit diese
Kontrolle ohne Misstrauen gehen kann.
S. L.: Eigentlich warst Du von Anfang an eher misstrauisch als naiv. 1977 hat das proT zum
ersten Mal eine beträchtliche Summe von der Stadt bekommen. Du hast damals den Stadträten einen
Brief geschrieben: "Ich werde das Geld nur dazu nutzen, meine Theatervisionen zu verwirklichen,
und das ist eigentlich das Beste, was Ihnen passieren kann, denn wenn es Ihnen um Kunst geht,
dann müssen Sie diese Konsequenz meinen."
A. S.: Ich war misstrauisch, wie viel Offenheit ein System wirklich haben kann oder zulassen kann.
Man muss sich ja immer fragen: Warum geben die einem Geld, was wollen sie dafür, und was hat das
für Konsequenzen für den künstlerischen Prozess? Kunst kommt ja ungefragt daher, sie macht ihre
eigene Kompositionsebene auf. Sie ist unberechenbar und verweigert sich der Definierbarkeit. Sie
muss radikal unabhängig sein. Sobald sie sich definieren lässt, ist sie schon zu Ende.
S. L.: Ist das die Falle, die Du heute bei der Förderung siehst und der Grund dafür, dass Du
für 2016 keinen Antrag stellst?
A. S.: Kurz gesagt: Ja. Prinzipiell kann man davon ausgehen, dass die Förderung der freien Gruppen,
dass diese Gelder einen eigenständigen künstlerischen Prozess stärken sollen, der außerhalb der
Institution stattfindet und so auch nur außerhalb der Institution stattfinden kann. Wie aber heute
die Subventionen vergeben werden, behindern sie das faktisch und stärken so vor allem die Institutionen.
S. L.: Wie meinst Du das?
A. S.: Die jetzige Förderung nimmt dem Künstler die Organisationshoheit, und das heißt, seine
künstlerische Souveränität geht verloren. Dem Künstler wird ein Bild seiner eigenen künstlerischen
Arbeit aufgezwungen, das mit dem künstlerischen Prozess rein gar nichts zu tun hat, ihn im
eigentlichen Sinne sogar verhindert. So kennt er zum Beispiel keine Trennung der Funktionen in
(scheinbar) unkünstlerische Bereiche und künstlerische Bereiche. Der Antrag nun zwingt den Künstler,
ein anderes Bild in den künstlerischen Prozess einzuführen. Es ist das Bild einer kleinen Institution,
die die Funktionen trennt und dabei Personen tituliert als Techniker, Musiker, Tänzer, Verwalter,
fixe Proben-, Ruhe- und Aufführungszeiten festlegt, ganze Bereiche auslagert in Produktionsbüros und
nicht zuletzt den künstlerischen Prozess in Einzelproduktionen aufspaltet.
S. L.: Wovon Du jetzt sprichst, das ist der Begriff „Projektförderung“ versus beispielsweise
Theaterförderung oder Künstlerförderung.
A. S.: Ein Theater zu haben, bedeutet hier eben nicht, ein Gebäude zu haben, sondern einen eigenen
theatralen Zugriff zu haben, der sich seine eigene Infrastruktur schafft. Durch die Einführung der
Projektförderung wird diese Infrastruktur ignoriert, ja de facto zerstört. Ein Prozess, der um eine
Konsequenz kämpft, die außerhalb des Bestehenden liegt, endet ja nicht einfach – auch nicht mit der
Premiere oder dem Jahreswechsel. Der Künstler stellt diesem Prozess sein Leben zur Verfügung.
Überdies, fördert die Stadt einen Künstler/ein Theater, dann stellt sich die Stadt hinter einen
künstlerischen Gesamtentwurf. Mit der Projektförderung ist es wie mit dem Angebot im Supermarkt,
es ist zahlreich und austauschbar – da entsteht eher der Eindruck die Stadt vergebe gnädigst Auftragsarbeiten.
S. L.: Neu ist die Projektförderung nun ja aber nicht, geschweige denn die Sehnsucht jeglicher
Institutionen nach Planbarkeit.
A. S.: Aber es geht immer weiter. Es ist nichts dagegen einzuwenden zu erklären, was man vorhat, das
hat das proT immer getan. Es ist auch nichts dagegen einzuwenden, Kosten und Einnahmen offenzulegen, auch das hat das proT immer getan. Aber nun wird eine andere Art von Kontrolle ausgebaut. Und das ist nicht äußerlich. Die Festlegungen, die bei der Subvention verlangt werden, die Zwänge, die dadurch ausgelöst werden. Die gesteigerten Nachfragen, wenn sich Ort, Personal oder Produktionszeitraum ändern. Es klingt, als wollte man sagen: Gebt auf, bewerbt Euch bei den Institutionen, und ihr braucht das alles nicht mehr zu machen.
S. L.: Du spielst auch auf die Förderpräambel an, in der u.a. steht "die IM BESTEN Fall auch in
die etablierten Institutionen hineinwirken und dort als Impulsgeber (...) fungieren können..."
A. S.: Ja, dieser Satz ist die stillschweigende Definition der Subvention freier Gruppen als
Nachwuchsförderung für kommende Regisseure der Stadt- und Staatstheater oder wenn schon nicht das,
dann als Versuchsfeld von Ästhetiken und Formen, die bei Gefallen dann dort landen. So werden die
freien Theater zu Steigbügelhaltern und Ausbildungsstätten der Institution. Und der Erfolg der
Förderung misst sich an der Kompatibilität des Künstlers mit dem System. Der künstlerische Prozess
aber, das ist ja kein permanenter Siegeszug, das ist der Kampf des Künstlers um seine Lebendigkeit.
München, 01.12.2015