Küppersbriefe, 2. Teil


Offener Text von Alexeij Sagerer an den Kulturreferenten der LH München Dr. Hans-Georg Küppers
 
 
Klägliche Veranstaltung - die Fortsetzung.
Der "Roundtable der Freien Theatergruppen zum künftigen Jurywahlverfahren" am 20. April 2012, diesmal in der Rathausgalerie.

 
 
Zu Beginn der Veranstaltung stellte ich (Alexeij Sagerer) dem Kulturreferenten drei Fragen: 1. Verlief die Wahl zur bisherigen Jury für die Subventionsvergabe für Freie Theatergruppen in München in irgendeiner Weise unkorrekt oder wurden dabei demokratische Regeln verletzt? 2. Bestanden an der Fachkompetenz und Unabhängigkeit der bisherigen Jury irgendwelche Zweifel? 3. Wurden bei der Vergabe der Subventionen durch die Jury, die geförderten Projekte nicht ausschliesslich nach künstlerischen Qualitätskriterien ausgewählt bzw. wurden durch die Jury irgendwelche Anträge aus nichtkünstlerischen Gründen benachteiligt oder boykottiert? Nachdem der Kulturreferent uneingeschränkt erklärte, dass bei der Wahl für die Theaterjury alles korrekt war, dass es an der Fachkompetenz und der Unabhängigkeit der Jury keine Zweifel gab und dass bei der Verteilung der Subventionen ausschliesslich nach künstlerischen Qualitätskriterien entschieden wurde und auch keine Anträge aus irgendwelchen Gründen benachteiligt oder boykottiert wurden, stellte Alexeij Sagerer (ich) eine 4. Frage: Warum dann diese Versammlung zur Änderung des Wahlverfahrens? Diese gäbe doch nur Sinn, wenn dadurch irgendeine Verbesserung, zum Beispiel eine Verbesserung der Jury, zu erwarten wäre. Die etwas beiseite gesprochene Antwort des Referenten war: Lasst uns doch einfach mal experimentieren.
 
Und so beginnen sich Fragen zu stellen. Welche Interessen stehen hinter diesen Vorgängen? Will man Theatermacher, deren Interessen mit den Strategien des Kulturreferats händchenhalten? Sind für diese Theater die Kriterien der Präambel lästig? Braucht man dazu eine andere Jury? Gibt es "Freie Theater", die dabei stören? Sind das die Vorboten für das geplante Kreativzentrum (oder wie immer es heissen mag) an der Dachauerstrasse? Will das Referat seine Interessen als "mehr Demokratie" tarnen? Wer ist dieses "uns", das da experimentiert? Der Referent mit den Theatermachern? Fragen über Fragen, die man sich stellen kann.
 
Und das ist bisher passiert: das Kulturreferat lädt am 16.03.2012 zu einer Versammlung mit Geförderten und Antragstellern, einem Vielfachen von Antragstellern, die unzufrieden sind, weil sie nicht gefördert wurden, obwohl sie einen Antrag gestellt haben. Vor allem sind sie unzufrieden mit der Jury, weil diese sie nicht gefördert hat, aber eigentlich sind sie unzufrieden mit den Kriterien, nach denen die Jury entscheidet, darüber wird aber nicht gesprochen.
 
Bisher hat das Kulturreferat bestimmt, dass die Jury von den Geförderten der letzten 3 Jahre gewählt wird. Vermutlich aus guten Gründen, möglicherweise wegen der Vielzahl von Anträgen und der Unübersichtlichkeit unter all den eigenständigen und ästhetisch kompetenten Theatermachern, die hier auf Antragsebene zu existieren scheinen. Möglicherweise auch wegen einer durchaus sinnvollen Grosszügigkeit oder Offenheit, mit der Anträge zur Bewertung durch die Jury zugelassen werden. Das Referat könnte jetzt ein anderes Verfahren wollen und neu bestimmen, wer wählen darf, aber jetzt gibt man sich plötzlich demokratisch. Die, die bisher nicht wählen durften (80% des Runden Tisches) wählen (mit den restlichen 20%), ob sie jetzt wählen dürfen. Was ihnen auch gelingt. Und dadurch wird folgende Situation geschaffen. Die Guten ("grosse demokratische Mehrheit" der nicht geförderten Antragsteller) gegen die Bösen (scheinbar "undemokratische Minderheit" der Geförderten). Ende der ersten Veranstaltung.
 
 
Die zweite Veranstaltung
 
Für die zweite Veranstaltung am 20. April in der Rathausgalerie wurden offensichtlich noch mehr Antragsteller aufgetrieben. Die Guten, "riesengrosse demokratische Mehrheit" der nicht geförderten Antragsteller, gehen jetzt noch einen Schritt weiter und reduzieren das Wahlrecht für geförderte Theatermacher auf die vergangenen 2 Jahre und erweitern die Anzahl der nicht geförderten Wahlberechtigten (von geplant einem Jahr) auf ebenfalls die letzten beiden Jahre. Überraschung für alle, die glaubten, sich auf das bisherige Verfahren verlassen zu können. (Es ist fraglich, ob dies juristisch nicht anfechtbar wäre, d.h. ob es einen gewissen Verfahrensschutz gibt). So stellte zum Beispiel die Theaterfrau Cornelie Müller, die hier seit vielen Jahren in München arbeitet, immer wieder Anträge stellt und gefördert wird, fest, dass sie plötzlich nicht mehr zu den freien Theatermachern, die eine Jury vorschlagen und wählen können, gehört.
 
Das Bild, hier die "Mehrheit der Antragsteller" dort die "Minderheit der Geförderten" wird vom Kulturreferat nach diesen Entscheidungen weiter formuliert und man spricht davon, dass "für die anstehende Wahl der Jury die Geförderten der Jahre 2011 und 2012 sowie die Antragstellerinnen und Antragsteller 2011 und 2012 vorschlags- und wahlberechtigt sind." Als wären die Geförderten keine Antragsteller. Als gäbe es eine Wahl Geförderte gegen Antragsteller. Diese Trennung ist inzwischen überflüssig geworden. Für Vorschlags- und Wahlrecht gibt es keinen Qualitätsunterschied zwischen geförderten und nicht geförderten Antragstellern. Die grosse Chance, die geförderten Theatermacher ganz zu eliminieren wurde von der Mehrheit der nicht geförderten Theatermacher verschenkt. Das wäre der Vorschlag gewesen, dass nur noch die nicht geförderten Antragsteller vorschlags- und wahlberechtigt sind.
 
Auch dies wäre möglich gewesen und hätte vom Kulturreferat akzeptiert oder nicht akzeptiert werden können. Der einzige Verantwortliche in diesem Verfahren bleibt das Kulturreferat, gebunden an den Stadtratsbeschluss, den es selbst herbeigeführt hat. Die Theaterversammlung ist niemandem verantwortlich, nicht einmal sich selbst (sie hat z.B. die Beschlüsse ihrer ersten Sitzung nicht einmal ignoriert) und schon gar nicht einer "qualitativen Kunstförderung". Aus diesem Grunde verliess ich unter Protest, und mit mir 3 weitere geförderte Theatermacher, die Versammlung, bevor es zu irgendwelchen Entschlüssen kam, da ich auf keinen Fall irgendwelche Entschlüsse "demokratisch" mittragen wollte.
 
Die 3 letzten Wortmeldungen der nicht geförderten Antragsteller bevor wir die Veranstaltung verliessen waren: 1. Ein junger Mann, der versicherte, dass es schon schwer ist, einen Antrag zu stellen. Er scheint es geschafft zu haben. Hurra, er ist ein Künstler. Er konnte einen Antrag stellen. Vielleicht sollte man auch das "demokratisieren", so dass niemand mehr einen Antrag stellen muss, sondern dass jeder nur noch zu unterschreiben braucht, dass er ein selbständiger und unabhängiger Theatermacher ist. 2. Eine junge Frau meinte, dass niemand die Münchner Szene kennt. Ich weiss es auch nicht, wer diese Münchner Szene ist. Ein Verein, eine Partei, eine Firma, eine Institution? Ich kenne aber sehr wohl einige in dieser Versammlung anwesende Theatermacher, die in München arbeiten, wie zum Beispiel das FTM, Berkan Karpat, Die Bairishe Geisha und Hunger & Seide, die alle sehr unterschiedlich sind und sehr wohl über München, ja zum Teil sogar über Deutschland hinaus bekannt sind. 3. Dann meldete sich noch eine junge Frau, die es gut fand, dass der Kreis der Wahlberechtigten ausgeweitet wird, weil man da neue Menschen kennenlernt. Jetzt war es für mich aber höchste Zeit zu gehen.
 
 
Ein neues Verfahren
 
Aber wie auch immer, jetzt schlagen alle Antragsteller der letzten 2 Jahre Kandidaten für die Jury vor und wählen diese Jury. Und jetzt ist das Kulturreferat gefordert. Das Kulturreferat ist der einzige Partner in diesem Spiel, der einen Überblick über die Menge und Qualität der Anträge hat. Ist jeder "Antrag" vorschlags- und wahlberechtigt oder jeder Antragsteller? Ist nur jeder gültige Antrag vorschlags- und wahlberechtigt, also "Künstler/innen(gruppen), die auf der Basis nachgewiesener professioneller Arbeit zumindest durch erste künstlerische Erfolge ausgewiesen sind"? Werden die Anträge auf personelle Verfilzung überprüft, d.h. tauchen die gleichen Namen in verschiedenen Anträgen unter verschiedenen Labels auf (gleicher Personenkreis, verschiedene Anträge)? Berufen sich verschiedene Anträge auf dieselben "ersten künstlerischen Erfolge"? Reicht es, einen in Berlin abgelehnten Antrag hier von einer Münchner Dramaturgin einreichen zu lassen, um daraufhin hier wahlberechtigt zu sein?
 
Da es grundsätzlich möglich erscheint, mit "trickreich verteilten" Anträgen die Stimmkraft einer freien Gruppierung zu erhöhen, wäre es unbedingt notwendig gewesen, diese unter Umständen entscheidenden Änderungen der Bedingungen für die Juryvorschläge und Jurywahl vor dem 01. Dezember 2011 bekanntzumachen. Es ist nämlich nicht ausgeschlossen, dass Theatermacher vor ihrer letzten Antragstellung von dem "demokratischen" Coup gewusst haben und ihre Anträge danach gerichtet haben. Falls es so etwas wie einen Verfahrensschutz geben sollte, ist das zum jetzigen Zeitpunkt beschlossene Wahlverfahren zumindest wackelig.
 
Ein bisher wenig beachteter Aspekt zum geänderten Vorschlags- und Wahlverfahren ist, dass jeder Wahlberechtigte statt bisher drei Stimmen jetzt fünf Stimmen besitzt, die er auf fünf Kandidaten verteilen muss. Gegenüber bisher drei Stimmen bei fünf zu wählenden Jurymitgliedern. Dies bedeutet, dass eine knappe Mehrheit von z.B. 51% mit ihren Stimmen die Jury zu 100% mit ihren Wunschkandidaten besetzen kann. Es besteht keinerlei Minderheitenschutz für die restlichen 49%. Daraus ergeben sich weitere Fragen an das Kulturreferat. Überprüft das Kulturreferat die künstlerische Kompetenz und die Unabhängigkeit der vorgeschlagenen Kandidaten für die Jury und klärt sie diese über die Bedeutung und die Verbindlichkeit der Präambel auf? "Die öffentliche Unterstützung professioneller freier darstellender Kunst basiert ausschliesslich auf qualitativer Kunstförderung."
 
Ein weiterer bisher wenig beachteter Aspekt betrifft das Verhältnis zwischen freien Gruppen und freien Bühnen. Es ist eigentlich auszuschliessen, dass die Intendanten oder Verantwortlichen der freien Bühnen hier noch eine Theaterjury bestimmen, da sie bereits die Theaterjury für die freien Bühnen wählen. Die Trennung zwischen "freien Gruppen" und "freien Bühnen" wurde eingeführt, da verschiedene Interessen zwischen freien Gruppen und freien Bühnen bestehen. Es geht nicht an, dass die Intendanten der freien Bühnen die Jury der freien Gruppen mitbestimmen, der umgekehrte Weg der freien Gruppen in die Bestimmung der Jury der freien Bühnen aber ausgeschlossen ist.
 
Demokratie verlangt Transparenz und zu einem wesentlichen Bestandteil von Demokratie gehört, dass vor einer Wahl bekannt ist, wer wählen darf und wie viele wählen dürfen. Wir bitten daher um Zusendung der Liste der jetzt vorschlags- und wahlberechtigten freien Theatermacher bzw. Gruppen mit ihren Referenzproduktionen oder um die Mitteilung, wo wir diese Liste einsehen können. Dies kann dem Kulturreferat eigentlich keine zusätzliche Mühe machen, da es um die Wahl ordentlich durchführen zu können, eine solche Liste haben muß.
 
Wer hätte das gedacht. Am Ende kann es sein, dass die Politiker in der Jury die Garanten für den Schutz der Präambel werden.
 
 
Alexeij Sagerer, proT, Mai 2012

 
 
 

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