Die Subventionierung aus der strengen Sicht einer konsequenten Theaterarbeit


 

veröffentlicht in: Alexeij Sagerer. PROZESSIONSTHEATER (TEXTE), proT  8 München 40  Produktion (1)  1. Auflage 500 Exemplare München/Ellbrunn Herbst/Winter 1978/1979
Die Auflage ist vergriffen

 
 
 
Rotes Buch
 
 
Die Subventionierung aus der strengen Sicht einer konsequenten Theaterarbeit
(Wir beziehen uns dabei besonders auf einen Antrag der Fraktion der CSU im Stadtrat München)

 
In der freien Theaterszene Münchens gibt es ein paar Theater, die sich trotz schlechter finanzieller Voraussetzungen um eine gewisse Konsequenz in ihrer Arbeit bemühten. Es gibt nicht den geringsten Grund anzunehmen, daß diese Leute unter besseren finanziellen Bedingungen plötzlich weniger an ihrem Theater arbeiten sollten. Man kann annehmen, daß die Stadt München deshalb jetzt bereit ist, mehr Geld für diese Arbeit zur Verfügung zu stellen, da sie diese Arbeit anerkennt. Dieses Geld kann nur den Sinn haben, eine konsequente Arbeit zu erleichtern. Nun tauchen plötzlich Kriterien für die Subventionsverteilung auf, die nicht nur mit einer konsequenten künstlerischen Arbeit nichts zutun haben, sondern unter Umständen ihr geradezu entgegenstehen. Es ist besser, niemandem Subventionen zu geben, als unter falschen Gesichtspunkten verteilte. Dadurch werden Theater, die ohne oder lediglich mit minimaler städtischer Unterstützung entstanden sind, in Abhängigkeit von völlig unkünstlerischen Kriterien gebracht sie werden behandelt als wenn sie bereits gekauft wären, als wenn sie sich nicht mehr selbst gehörten. Dabei sind diese Leute von einem Theater als Inhalt ausgegangen (manche sicherlich instinktiv) und haben um diesen Inhalt die Organisation eines Theaters gebraut und diese Organisation muß von der künstlerischen Arbeit abhängig bleiben, da dies der einzige Weg ist, einen künstlerischen Prozess in Gang zu setzen, einen künstlerischen Fortschritt zu ermöglichen. Diese Leute sind, sicherlich mit aus finanziellen Gründen, in Räume gegangen, in die das Theater vorher nicht ging, schon gar nicht das reiche, um dort ihr Theater zu entwickeln. Eine falsche Subventionierungspraxis wird diese Räume lediglich mit Geld verstopfen und eine künstlerische Entwicklung ersticken.
 
Wir stehen hier in München vor der Frage, ob die "öffentliche Hand" überhaupt in der Lage ist, künstlerische Prozesse zu fördern oder immer wieder immer nur Institutionen einrichten kann, welche die Entwicklungen anhalten.
 
Der Stadtratsantrag setzt als obersten Punkt für die Unterstützung der freien Theater in München die künstlerische Leistung und dann folgt ein Kriterienkatalog.
 
  1. Die Bestanddauer des Theaters
     
    Dies ist nur äußerst bedingt in direkten Bezug zur künstlerischen Leistung zu setzen. Sagen wir einmal, Leute die ein Theater machen wollen, müssen in der Lage sein, einen gewissen künstlerischen Willen kundzutun und damit eine gewisse Strecke zurückzulegen. Auf der anderen Seite besteht die Gefahr einer Institutionalisierung, so daß man z.B. wegen der Subventionen so tut, als wenn man noch weitergehen würde, obwohl man schon zu Ende ist, wobei sich der künstlerische Wille in einen finanziellen willen verwandelt.
     
  2. Anzahl der Inszenierungen pro Jahr
     
    Wie dies gewertet werden soll, ist gar nicht klar. Das kann eigentlich nur zwischen Theatern gewertet werden, von denen nichts Neues mehr zu erwarten ist. Theater, die ihre Arbeit als Prozess verstehen (und nur diese Arbeit hat mit einer künstlerischen etwas zu tun), sind von dem Prozess auch abhängig: da kann es passieren, daß man in einem Vierteljahr drei Inszenierungen machen kann oder in einem Jahr nur eine oder nicht einmal das und das alles hat gar nichts mit Fleiß zu tun. Der Erfinder des Autos wird am längsten gebraucht haben, der Konstrukteur eines Modells schafft schon mehr und das Fließband schafft halt am meisten.
     
    Hier ist noch eine spezielle Schwierigkeit der Wertung für unser Theater, das proT, zu sehen, da wir seit Jahren nicht fertige Stücke inszenieren, sondern auch die Stücke selbst schreiben, weil das für uns zusammengehört und für uns aus einem Prozeß auch gar nicht auszugliedern ist. Im normalen Theater wird halt ein künstlerischer Prozeß nur den Theaterschreibern zugestanden, der kann oft ein Jahr oder auch länger für ein Stück brauchen, vom Theater selber erwartet man dann weniger Entwicklung und deswegen findet sie auch so selten statt.
     
  3. Anzahl der Aufführungen pro Jahr
     
    Das klingt ganz gefährlich! Das klingt so, wieviel Bilder malt ein Maler am Tag? Da möchte man hoffen, daß man in den Jahren, wo man weniger spielen kann, mehr Unterstützung bekommt, weil man da mehr braucht. Mit einer künstlerischen Leistung hat es nichts zu tun. Es ist mehr eine Einladung zu scheinheiligem Fleiß. Tatsächlich beweist das gar nichts. Es kann von einem Theater geradezu verantwortungslos sein, wenn es aus irgendwelchen Gründen (meist finanziellen, vielleicht jetzt wegen der Subventionen) öfter spielt als es vertreten kann. In der Kunst gibt es genaue Gesetze, aber das sind halt die Gesetze der Kunst. So ergeben halt zehn schlechte Vorstellungen keine gute und wenn man auf ein Blau immer wieder ein Blau drauf malt wird's nicht blauer, sondern am Ende grau, während zehn mal hundert Gramm Gips allemal ein Kilo Gips ergeben.
     
    Tatsächlich scheint die Anzahl der Aufführungen für die meisten etwas mit kontinuierlicher Theaterarbeit zu tun zu haben und hier scheint man am besten den Fleiß eines Theaters sehen zu können. Man scheint auch zu meinen, daß die Theaterleute abends nur zwei Stunden arbeiten und sonst frei haben. Bei dieser Wertung kommen die am besten weg, die von einem künstlerischen Prozeß im Theater gar nichts verstehen, ja annehmen, daß da gar keiner stattfindet, für die Aufführungen Endstationen sind, obwohl sie eigentlich schon mit das Wichtigste am Theater sind.
     
    Für uns ist es halt so, daß man bei den Aufführungen dauernd eine Kraft abgibt, also die Kraft nach außen gerichtet ist, während man bei der Arbeit an einem neuen Stück die Kraft sammelt, also die Kraft genau entgegengesetzt ist. Das sind rhythmische Gesetze, wie bei einem Gedicht mit Hebungen und Senkungen. Alles andere muß zu einer Verflachung führen. Die Anzahl der Aufführungen kann jedes Theater nur aus eigener Verantwortung bestimmen. Wer da auf die Subventionen schielt ist schlecht beraten und wenn damit die Subventionen locken, sind sie gegen Theater gerichtet.
     
    Im Sport kapiert das der einfachste Arbeiter und akzeptiert es. Wenn Bayern München während der Woche drei Freundschaftsspiele macht ( natürlich wegen dem Geld und nicht wegen der Freundschaft) und dann am Samstag im Olympiastadion schlecht spielt, dann stellen die Zuschauer den Zusammenhang schnell her und fühlen sich mit Recht beschissen. Fußballspieler tun also unter Umständen mehr fürs Publikum, wenn sie weniger spielen. Aber Sport ist halt was Lebendiges.

     
  4. Ensuite- oder Repertoire-Spielplan
     
    Daran kann man eventuell Zeichen für eine kontinuierliche Theaterarbeit erkennen, aber was Verbindliches wird man nur schwer herauslesen können.
     
  5. Anzahl der Sitzplätze und ihre Auslastung
     
    Da kann man eigentlich gar keinen Bezug zur künstlerischen Leistung erkennen. wie ist dieses Kriterium überhaupt gemeint? Ein Theater hat viele Sitzplätze und auch noch ausgelastet, es braucht also weniger Subventionen; oder: Ein Theater hat viele Sitzplätze aber ganz wenig Besucher, es braucht also ganz viele Subventionen um die vielen Sitzplätze finanzieren zu können; oder: Ein großes Theater kriegt mehr Subventionen als ein kleines Theater, weil ein großes Theater etwas Größeres ist als ein kleines Theater und der Unterschied durch die Subventionen noch verdeutlicht werden soll; oder: Ein Theater, das immer ausgelastet ist, kriegt mehr Subventionen, weil das gesunde Volksempfinden als erstes den Wert einer künstlerischen Entwicklung erkennt; oder: Ein kaum besuchtes Theater kriegt mehr Subventionen, weil da wo viele hingehen, kann gar keine neue Kunst im Entstehen sein, sonst würden nicht so viele hingehen. Grundsätzlich läßt sich dazu sagen: Wir glauben, daß jedes Theater es lieber hat, wenn viele Leute kommen um es anzuschauen. Auf der anderen Seite ist es halt so, daß wer seine künstlerische Entwicklung ernst meint, der wird halt unter Umständen dafür erst ein Publikum gewinnen müssen und es muß sich für dieses Theater erst ein Publikum finden. Die Unterhaltungsindustrie argumentiert da anders: Das Publikum versteht nicht mehr, also kriegt es nicht mehr und gleichzeitig wird das Publikum nicht mehr verstehen können, weil es nicht mehr kriegt. Und da hat es halt immer wieder Leute gegeben, die sich mit eigenem Risiko hingestellt haben, um diesen Kreislauf zu unterbrechen und wenn sich dann was Neues durchgesetzt hat, dann haben ich auch immer wieder Leute gefunden, die dieses Neue in den alten Kreislauf zurückgeführt haben, damit ein G'schäft g'macht haben. Eigentlich sind diese G'schäftlmacher ja auf die paar Verrückten, die sich immer wieder vor ein paar Hanseln hinstellen, angewiesen, weil sie ja notwendig immer wieder was Neues brauchen, aber das ist den G'schäftlmachern doch wurscht, solang's umgeht.
     
    Bei uns im proT ist es halt so, daß wir möglicherweise ein Stück, das dauernd ausverkauft ist, absetzen, damit wir es nicht kaputt spielen und dann unter Umständen ein Stück spielen, in das nur ganz wenige kommen, weil wir glauben, daß ein Stück wichtig ist. Alles andere ist für uns eine finanzielle Zensur. Außerdem spielen wir auch vor einer Person, wenn nur eine kommt, und sowas kann natürlich schwer auf die Statistik drücken. Aber jetzt wissen wir gar nicht, ob wir dafür belohnt oder bestraft werden sollen.
     
  6. Höhe der Mietzahlungen
     
    Hat mit Kunst sicher nichts zu tun! Grundsätzlich kann man davon ausgehen, daß die Theaterleute erwachsene Personen sind, die sich aus irgendwelchen Gründen eine Struktur für ihr Theater ausgesucht haben, die sie auch verantworten sollen. Warum zahlt man denn mehr Miete? Weil man in eine günstigere Gegend will, oder ein größeres Haus will und auf die erhöhten Einnahmen spekuliert oder weil man's lieber schöner hat oder ich weiß nicht warum.
     
    Soll es überflüssig sein, wenn ein Theater bisher kaufmännisch gedacht hat und einfach solange suchte bis es einen Raum fand, den es sich auch leisten konnte? Es geht doch hier um die Unterstützung einer bestehenden Theaterszene und nicht um die Neugründung einer Theaterszene. In welcher Wiese die einzelnen Theater innerhalb ihrer Arbeit die Subventionen verwenden, muß doch in der Verantwortung der Theater bleiben. Gibt man z.B. drei Theatern die gleiche Summe, dann steckt der eine den Hauptanteil in die Miete, der andere zahlt seinen Leuten mehr und der dritte arbeitet länger an einer Inszenierung. Ich weiß nicht, welcher da das Geld am besten anlegt. Das kann nur jedes Theater selbst verantworten und dazu muß es in der Lage bleiben. Die Mietzahlungen können nur außerhalb eines allgemeinen Kriterienkatalogs eine Rolle spielen. Wenn z.B. einem Theater die Miete überraschend hinaufgesetzt wird oder ihm plötzlich gekündigt wird oder wenn ein Theater für eine konkrete Sache einen größeren Raum benötigt. Aber das sind spezielle Fälle, für die eine jeweils spezielle Lösung gefunden werden muß.
     
  7. Unaufschiebbare Investitionen zur Bestandhaltung des Theaters
     
    Einsichtig, wenn es nicht grad ein Kronleuchter ist.
     
  8. Angestelltes Personal/Höhe der Gehaltszahlungen/Sozialabgaben
     
    Was hat das mit einer künstlerischen Leistung zu tun? Mehr ein Zeichen für eine Institution, für einen Apparat. Wieviel angestelltes Personal kann sich eine künstlerische Entwicklung leisten ohne Schaden zu nehmen? Bei der Entstehung der Theaterszene in München hat es kaum eine Rolle gespielt. Welche Rolle soll es jetzt bei der Subventionierung dieser Szenen spielen?
     
    Theater, von denen eine künstlerische Entwicklung zu erwarten ist, wird man vor allem daran erkennen (äußerlich), daß die Personen, ihre Arbeit und der Apparat Theater eine große Identität aufweisen. Die meisten Theatermacher haben die Leistungen, die ein angestelltes Personal bringen kann, selbst erbracht.
     
    Dieses Kriterium meint eine ganz bestimmte Organisationsstruktur für Theater und diese Organisationsstruktur ist bereits wohlbekannt, ebenso wie das, was mit ihr künstlerisch leistbar ist und was mit ihr nicht zu leisten ist. Diese Organisationsstruktur für Theater ist bereits prächtig subventioniert. Wir wiederholen: Die Organisationsstruktur, innerhalb der eine künstlerische Leistung vollbracht wird, beeinflußt diese künstlerische Leistung und zwar unabhängig davon, ob dies die Künstler wissen oder nicht wissen. Dieses Kriterium "Angestelltes Personal" ist für die meisten der freien Theater in München der falsche Maßstab. Die Leistungen eines angestellten Personals werden zwar erbracht, aber lediglich als Faktum, sie sind im Sinne dieses Kriteriums nicht vorweisbar.
     
  9. Schauspieler/Höhe der Gagenzahlungen/Sozialabgaben
     
    Auch dieser Punkt hat kaum mehr künstlerische Relevanz als sein Vorgänger. Da gibt es Theater, die bieten ihren Schauspielern langfristige Verträge, dann gibt es welche, die bieten ihnen kurzfristige Verträge und dann gibt es Theater, die müssen sich ihre Schauspieler erst erarbeiten, so wie sie sich auch ihr Theater (das gespielte) neu schaffen und das sind Theater, wo Verträge wenig Sinn ergeben, weil hier beide Seiten von einer gemeinsamen Arbeitsbasis ausgehen und die Dauer einer Zusammenarbeit vom Bestehen dieser Arbeitsbasis abhängt (diese Zusammenarbeit dauert übrigens oft viel länger als eine vertragliche) und beide Seiten dieses Risiko bewußt auf sich nehmen, ja wegen der künstlerischen Entwicklung auf sich nehmen müssen. Theater bei denen sich beide Seiten immer wieder überzeugen müssen. Da ist es halt dann unter Umständen so, daß die Mitarbeiter dieser Theater wegen der Sache auch finanzielle Einschränkungen auf sich nehmen, wenn einfach nicht mehr Geld da ist. Die Schauspieler nehmen eine deutliche Unterbezahlung in Kauf. Ihre Leistung ist zwar faktisch da, aber auch diese Leistung kann im Sinne des Kriteriums nicht sichtbar gemacht werden. Soll hier durch eine Subventionierung eine Unterbezahlung aufgehoben oder manifestiert werden (wer so blöd ist und für so wenig Geld arbeitet, der verdient nicht mehr)? Wenn mehr Geld zur Verfügung steht, können ganz einfach mehr Gagen bezahlt werden!
     
    Sollte bei diesem Kriterium vielleicht die Überlegung eine Rolle gespielt haben, der Vielzahl arbeitsloser Schauspieler einen Ausweichsarbeitsplatz zu verschaffen, so müssen wir diesen Gedanken strikt zurückweisen. Die Verantwortung für zuviel ausgebildete Schauspieler für konventionelles Theater liegt nicht bei den Theatern, die einen neuen Weg zum Theater suchen, sondern beim konventionellen Theater, wobei dem konventionellen Theater diese Situation gar nicht ungelgen kommt, da es mit Durchschnittsschauspielern leichter umspringen kann. Eine solche Überlegung verkennt und denunziert die Leistung konsequent arbeitender kleiner Theater. Mit "Springern" ist unserer Arbeit nicht gedient, auch wenn es anscheinend eine bequeme Lösung für das konventionelle Theater (und scheinbar für die Arbeitsämter) wär. Wer denkt, für die großen Theater die großen Künstler, der hat den Wert der freien Theaterszene in München nicht begriffen! Wir sind keine Warteräume für den Sprung in die großen Fleichschüsseln.
     
  10. Beiträge zur Berufsgenossenschaft
     
    Eine indirekte Subventionierung der Berufsgenossenschaft über Theater, die gerade am Existenzminimum stehen?
     
  11. Beitragszahlungen für Pflichtversicherungen u.a.
     
    Pflicht ist Pflicht u.a. Das hängt doch mit den Gagen und Gehaltszahlungen zusammen? Wer gut versichert ist, kann auf alle Fälle versichert sein.
     
  12. Ermäßigungen für Schüler, Studenten, Versehrte, Senioren
     
    Ja!
     
Der Stadtratsantrag abschließend betrachtet stellt sich uns so dar:
 
Die künstlerische Leitung wird verbal vorausgesetzt, kann aber natürlich keiner Weise "durchsichtig" gemacht werden. Dann folgt ein Kriterienkatalog, der mit einer künstlerischen Leistung nicht nur nichts zu tun hat, sondern ihr sogar deutlich widerspricht. Außerdem ignorieren die einzeln aufgeführten Kriterien die Situation, in der die freie Theaterszene in München entstanden ist. Sie trennen die Organisation Theater von dem Inhalt Theater, sind die Kriterien für die Unterstützung einer Institution, etwa wie der Kammerspiele, in verkleinertem Maßstab. Dieses Verteilungsschema erscheint lediglich als Versuch sich durch scheinbar gesicherte Kriterien aus der Verantwortung einer gewachsenen Theaterszene gegenüber zu drücken. Der Abschluß einer Versicherung bedeutet ja meistens nicht verantwortungsbewußtes Handeln, sondern lediglich das Abwälzen von Verantwortung auf die Versicherung.
 
Ein Theater, das seinen künstlerischen Prozeß ernst nimmt, wird, wenn es darauf ankommt, nicht seine Kunst verändern, sondern seine Organisationsstruktur; dies würde unter Umständen durch die vorliegenden Kriterien "bestraft" werden, es würde also künstlerische Konsequenzen nicht nur nicht fördern sondern erschweren. Es scheint als würden diese Stadträte gar nicht ernsthaft an die Bedeutung der freien Theater in München glauben.
 
Es ist schon erstaunlich, wieviel Verständnis man z.B. aufbringt, wenn es um den Bau einer Institution wie das Deutsche Theater in der Schwanthalerstraße geht, wenn es um ein Gebäude für Theater geht. Es ist erstaunlich, wieviel Jahre man für den Bau eines Theaterraumes gestattet (seit 1973), der nachher lediglich ein üblicher Theaterraum sein wird, ohne daß über Aufführungszahlen oder Produktionen im Jahr gesprochen wird, ohne daß viel über den Inhalt "Theater" nachgedacht werden muß. Die Kosten belaufen ich auf sicherlich über 30 Millionen riskiert man nach der momentanen Situation (und es ist die bisher günstigste für die freien Theater) in einem Zeitraum von 30 Jahren für eine Szene, die vor allem durch den Inhalt Theater eine Bedeutung gewonnen hat und es geht einfach nicht, daß diese Subventionen nach Kriterien verteilt werden, die mit dem Inhalt "Theater" nichts zu tun haben. Hier entwickelt sich im besten Falle etwas Neues und man kann nicht mit alten Fahrplänen daher kommen und damit versuchen zu messen.
 
Natürlich kann man leichter auf ein Gebäude mit Fingern zeigen und sagen, das haben wir für's Theater getan, als auf einen künstlerischen Gehalt. Natürlich ist es ein größeres Risiko, eine Entwicklung zu fördern - aber gerade der, der glaubt, daß er nichts falsch machen kann, in dem er nichts riskiert, macht am meisten falsch.
 
Die Theater unter den freien Bühnen in München, die ihre Arbeit ernst nehmen, sind hier nicht angetreten um zu beweisen, daß sie ein fleißiges Mittelmaß produzieren können, sondern daß sie ein Theater entwickeln können, und dafür sind sie bereit hart zu arbeiten. Theater, denen ihre Aufführungen mehr bedeuten als routinierte Wiederholungen.
 
 
Die letzte Seite
 
Es läßt sich nur von dem Theater eine Entwicklung erwarten, das seine Arbeit als Prozeß versteht und seine Organisationsstruktur auf diesen Prozeß einstellt.
 
In ihrem "Wert" bestimmen lassen sich nur Theater, bei denen keine Entwicklung stattfindet. Wer sich auf eine Entwicklung einläßt, also Unbekanntes riskiert, läßt sich auf die Möglichkeit des Irrtums ein.
 
Wenn bei eigentlich doch recht linear berechenbaren Vorhaben, wie dem Straßenbau, Irrtümer möglich sein dürfen, wie z.B. in der Landshuter Allee oder beim Durchbruch des Altstadtringes über die Maximilianstraße, Irrtümer die enormes Geld kosten, die eine massive Belästigung von Verkehrsteilnehmern und Anliegern bedeuten, dann bleibt es eigentlich immer wieder unverständlich mit wie wenig Risiko künstlerische Prozesse unterstützt werden sollen, wobei der finanzielle Einsatz im Verhältnis so gering ist, daß er eigentlich gar kein Risiko darstellt.
 
Es ist leichter, ein Theater zu erkennen, bei dem keine Entwicklung zu erwarten ist, also umgekehrt - man möchte fast sagen, beides ist gleich schwer, aber so einfach darf man es nicht umdrehen, auch wenn die Unbeweglichkeit des Theaters überhaupt nicht nur jegliche Entwicklung von vornherein lähmt, sondern diese geradezu zu provozieren scheint - möchte man meinen wollen.
 
Trotzdem: Erwarten Sie nichts von einem Theater, das behauptet, es würde mit mehr finanzieller Unterstützung mehr künstlerisches Risiko eingehen. Dieses Theater hat bereits eindeutig seine Dominante gesetzt und das ist die Rentabilität (finanzielle) des Theaterbetriebes. Es wird, wenn's daraufankommt, den künstlerischen Bankerott vorziehen. Es wird daher immer wieder das Unternehmen "Theater" dem Inhalt "Theater" vorziehen. Dies mag menschlich verständlich sein, aber bei der Kunst kommt's halt immer drauf an und nicht nicht nicht nur dann, wenn's nichts kostet.
 
 
Und zum Schluß noch einmal wegen der Verantwortlichkeit:
 
Ein freies Theater ist, auch wenn es von der Stadt unterstütz wird, nicht dem Stadtrat gegenüber verantwortlich, sondern der Genauigkeit seiner Arbeit, also seinem "Theater" (dem stattfindenden) und das ist das Beste, was dem Theater überhaupt und damit dem Stadtrat passieren kann, der ja Theater fördern will.
 
Ein freies Theater ist nicht dem Publikum gegenüber verantwortlich, sondern seinem Produkt "Theater" und das ist das Beste, was dem Publikum passieren kann, weil es keinen Sinn hat, wegen angeblicher Rücksicht auf das Publikum das Produkt zu beschädigen oder zu mindern - dabei verkommen nur Produzenten, Theater und Publikum.
 
Ein freies Theater ist nicht der Kritik gegenüber verantwortlich, sondern seinem "Theater als Inhalt" und das ist das Beste, was eine verantwortungsvolle Kritik erreichen kann.
 
 
 
Als grundsätzliche Literatur empfehlen wir (Reihenfolge beliebig):
 
Willi Baumeister, "Das Unbekannte in der Kunst"
Verlag DuMont Schauberg, Köln, 1960
 
Edmund Husserl, "Philosophie als strenge Wissenschaft"
Vittorio Klostermann, Frankfurt a.M., 1965
 
Hans Magnus Enzensberger, "Einzelheiten I", …Einzelheiten II"
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M., 1962
 
Antonin Artaud, "Das Theater und Double"
S. Fischer, Frankfurt a.M., 1969
 
W. Kandinsky und F. Marc, "Der blaue Reiter"
Dokumentarische Neuausgabe von Klaus Lankheit.
R. Piper, München, 1965
 
W. Kandinsky, "Über das Geistige in der Kunst"
"Essays über Kunst und Künstler"
Benteli Verlag, Bern 1973
 
Theodor Adorno, "Impromptus"
edition Suhrkamp, Frankfurt a.A., 1968
 
Walter Serner, "Letzte Lockerung"
Verlag Klaus Renner, Erlangen, 1976
 
Als praktische Literatur empfehlen wir:
Karl Valentin (alle Werke)
Kurt Schwitters (alle Werke)
James Joyce (alle Werke)
 
 
 
Ende der letzten Seite.

 
 
Ellbrunn/München im Januar 1979
 
Alexeij Sagerer

 
 
 
 
 
 
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