oh, oh Maiandacht...

Theater als Ereignis - eine Vision aus der proT-Halle


1986, 1987-1991

 
 

 
 

oh, oh Maiandacht


Die Komposition oh, oh Maiandacht von Alexeij Sagerer entsteht 1986 aus der Vorstellung eines Unmittelbaren Theaters für "Die Vier Tage des Unmittelbaren Theaters", ein Festival des proT, in der proT-Halle vom 07. bis 10. Mai. Dabei wird oh, oh Maiandacht dreimal aufgeführt. Mit den "Vier Tagen des Unmittelbaren Theaters" veranstaltet das proT in der proT-Halle gleichzeitig Mitternachtskonzerte mit "Unmittelbarer Musik". Bei der Fortführung dieser Konzerte "Unmittelbarer Musik" wird oh, oh Maiandacht im selben Jahr noch 9 mal aufgeführt.
 
Von 1987 bis 1991 wird die ursprüngliche Komposition "oh, oh Maiandacht" unter dem Titel "oh, oh Maiandacht..." fünf Jahre lang vom 01. bis 31. Mai, jedes Jahr an einem anderen Ort, täglich gespielt. Zusammen mit der Aufführung der ursprünglichen Komposition tritt jeden Abend ein anderer Künstler / eine andere Künstlergruppe oder Kulturschaffender auf: Musiker, Maler, Bildhauer, Performer, Schriftsteller, Videokünstler, Theatermacher ...
 
Damit öffnet oh, oh Maiandacht eine eigene Horizontale im künstlerischen Prozess des proT mit dem Stichwort "Theater als Ereignis - eine Vision aus der proT-Halle".
 
 
HELMUT SCHÖDEL, Der Standard, Wien, 19. / 20. Mai 1990, Kultur
Der wilde Mann des Münchner Theaters und seine einunddreißig Maiandachten

Alexeij Sagerers Prozessionstheater: in einer endlosen Experimenta
 
München - Der einzige Überlebende des Münchner Theater-Untergrunds ist Alexeij Sagerer. Seit über zwei Jahrzehnten leitete der Niederbayer aus Deggendorf, der dort die selbe Schule wie Herbert Achternbusch besuchte, das proT, was soviel heißt wie Prozessionstheater.
Aber während Achternbusch zum bayerischen Anti-Star aufstieg, blieb Sagerer ein Forscher, ein Polemiker - der wilde Mann der Münchner Theaterszene.
Seine Tieger von Äschnapur-Abende, seine Küssenden Fernseher, seine widerborstige Inszenierung von Kroetz' Wunschkonzert waren Höhepunkte eines anderen Theaters. Im proT, dem man, zur Schande der Münchner Kulturpolitik, seit Jahren keinen festen Spielort mehr gewährt, findet eine endlose Experimenta statt.
Gottseidank ist Sagerer unbeirrbar. Seit vier Jahren veranstaltet er sogar seine eigenen Mai-Festspiele: Oh, oh, Maiandacht, 31 Abende mit 31 special guests. Die Aufgabe der Gäste ist es, Sagerers Andacht zu stören: ein sehr unmittelbarer künstlerischer Wettstreit, der in diesem Jahr in der Münchner Manege stattfindet. Das Chaos ist als Erlebnis nie auszuschließen.
In der Mitte des Raumes hängen acht Holzstempen an Drahtseilen von der Decke, ein heidnischer Ring, umgeben von vier Spielpodesten, Theateraltären für Sagerers Prozessionstheater-Künstler. Auf seiner Empore erscheint mit Musikinstrumenten an einem Kerzentisch Cornelie Müller als Organistin. Gegenüber nimmt auf einem Podest unter einer blauen Plastik-Sonne ein Stammtischler Platz /Franz Lenniger). Hilfsschwester Susanne Wehde sitzt am Schaltpult für Licht und Ton, und Sagerer selber, mit blonder Christkindl-Perücke, beginnt mit Hand und Mund zwei Mikrophone zu bearbeiten: "unmittelbare Musik", sagt er. Er beichtet uns eine "Erleuchtung" und simuliert einen Theaterabend.
Schwarze Schatten der blauen Sonne
Und das geht etwa so: Sagerer plärrt ins Mikrophon: "Erste Szene: Wald!". In der Manege leuchtet es grün. "Zweite Szene: 2000 Jahre vorher. Dritte Szene: Wasser." Das ist das Stichwort für den Biertrinker, der jetzt einen Eimer holt. Wasser klatscht gegen die blaue Sonne (oder aufs Publikum). Die "schwarzen Schatten der blauen Sonne" beschwört schon bald die Organistin.
Sagerer bringt die Stempen zum Schwingen, zerstört ein christliches Ritual, das Ekstase und Gewalt freisetzt, und bekämpft seine Gäste (Schauspieler, Musiker, Maler, Videokünstler und Schriftsteller). Am Ende schließlich steht im heidnischen Ring eine kleine Madonna.
Man könnte Sagerers Mai-Festspiele auch als radikale Antwort auf Achternbuschs (in Österreich verbotenen) Christus-Film Das Gespenst verstehen. Oh, oh Sagerer, deine Maiandachten sind noch besser.
 
 
UA Urform 07. Mai 1986, proT-Halle, München
mit Franz Lenniger (Bierbank und Altarbesucher), Cornelie Müller (Herzmariä-Tonistin), Alexeij Sagerer (Vorbeter – Vormunder), Brigitte Niklas / ab 1989 Susanne Wehde / 1991 Nadja Raabe (Hilfsschwester am Ruder).
 
 

 
In den Raum wird eine Theaterlandschaft auf drei Ebenen installiert. In der Mitte DER HÄNGEZAUN: acht Holzstempen mit Drahtseilen an der Decke befestigt, freischwingend, im Kreis. Der Fussboden darunter ist schwarz. Zwei grosse digitale Anzeigetafeln. Gegenüber ein halbrundes, schwarzes Podest. Drei weisse Leinwände: SCHWARZES SCHNEEFELD MIT WEISSEM TRIPTYCHON. Darauf drei rote Sessel. Drei Mikrophone. Ein Gerüst: DIE EMPORE. Darauf verschiedene Musikinstrumente. An der gegenüberliegenden Wand ein grosser, blauer Kreis, davor ein Biertisch, eine Bierbank und acht Wassereimer: DIE BIERBANK VOR BLAUER SONNE. In einem Schubkarren ein Kontrabass.
 

 

Theater beginnt so.
1 Stempen wird berührt + bewegt.


 

 
oh, oh Maiandacht...
 
 

Maiandacht


CAPRICCIO DAS KULTURMAGAZIN (BR) - 08:48 Min - proT, Mai 1991
Autor: Andreas Ammer


Der Beitrag zeigt Ausschnitte aus der proT-Theaterproduktion oh, oh Maiandacht... und aus einem Interview von Andreas Ammer mit Alexeij Sagerer, im Mai 1991.
 
oh, oh Maiandacht...
 
1986 wird "oh, oh Maiandacht" (mit Alexeij Sagerer, Franz Lenniger und Cornelie Müller) für die DIE VIER TAGE DES UNMITTELBAREN THEATERS produziert. Von 1987 bis 1991 wird "oh, oh Maiandacht..." fünf Jahre lang jeweils vom 01.-31. Mai täglich gespielt. Zusammen mit der Aufführung von "oh, oh Maiandacht" tritt jeden Abend ein anderer Künstler oder eine andere Künstlergruppe auf: Maler, Musiker, Bildhauer, Performer, Schriftsteller, Videokünstler, Theatermacher ..... Täglich wechselnde Gastkünstler bei "oh, oh Maiandacht..." u.a. Biermösl Blosn, Die Interpreten, FLATZ, Sepp Bierbichler, Nikolaus Gerhart, Jörg Hube, Paul Fuchs, Werner Fritsch, Rotraut Fischer, Verena Kraft, Kurt Petz, Roland Fischer, Paul Wühr, Vlado Kristl, Rudi Zapf, Peter Brötzmann, Abbie Conant, Embryo, Toine Horvers, Sissy Perlinger, Valeri Scherstjanoi, Veronika von Quast, Rolf Staeck, Sigfried Kaden, Rabe Perplexum, Billie Zöckler, Claus Biegert, Paul Lovens, Günther Beelitz, Café Größenwahn, Andreas Ammer, Siegfried Hummel .....
 
 
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oh, oh Maiandacht...
 
 

Die Liste der Künstler


bei "oh, oh Maiandacht ..." 1987 - 1991


 
oh, oh Maiandacht...
 

1987 - proT-Halle, Schleissheimer Str. 418, München


 
KAN-TI-SHAN (Vietnam)  -  Imke Toksoez  -  Hubert Jeromin  -  minimal club  -  Börni Rothschädl (Österreich)  -  Max Hupfer  -  Fips Fischer  -  Sarah Camp  -  Bernd W. Schmidt-Pfeil  -  Heiko Hermann  -  Biermösl Blosn  -  Joseph Zehrer  -  Werner Aldinger  -  Hans Lechner  -  Joseph Gallus Rittenberg  -  FLATZ SYNDIKAT  -  Franz Dobler  -  Landshuter Moosindianer  -  Grace Yoon (Korea)  -  Horst Baur  -  Hias Schaschko  -  Mona Winter  -  Cornelia Melián  -  Sepp Bierbichler  -  Barbara Hamann  -  King-Kong-Kunstkabinett  -  Nikolaus Gerhart  -  ARTUR (Hamburg)  -  Robyn Schulkowsky  -  Gerd Lohmeyer  -  Bernhard Jugel
 
 
oh, oh Maiandacht...
 

1988 - Theaterhalle, Dachauerhallen, München


 
WELLKÜREN  -  Jörg Hube  -  Paul Fuchs + Katharina Seyferth  -  Ellinor Lau + Jon Michael Winkler  -  Harald Greil  -  Ulrike Trüstedt + Gabriele Herrmann + Therese Bop-Summer  -  Die Kritiker (Michael Skasa, Wolfgang Hoebel, Ingrid Seidenfaden, Christoph Blase)  -  Hermann Kleinknecht  -  Martin Sperr  -  Jim Meneses (USA)  -  Biermösl Blosn  -  Pochende Herzen  -  Werner Fritsch  -  Rotraut Fischer  -  Herbert Biller  -  HMR Praetorius + Karoline Balkhausen  -  Verena Kraft + Kurt Petz  -  Roland Fischer  -  Hans-Jörg Schmidt  -  Nina Hoffmann  -  Michel Marquardt  -  ARTUR (Hamburg)  -  Thomas Tielsch (Hamburg)  -  Franziska Leube  -  Gottfried Düren + Hannelore Fisgus  -  Ossi H. Oswald  -  Dietmar Diesner (DDR)  -  E.X.I.L. 84 (Palermo)  -  Stefan Baumgärtner  -  Angela Dauber + Samuel Rachl  -  DIE INTERPRETEN
 
 
oh, oh Maiandacht...
 

1989 - Ausstellungsraum, Atelierhaus Klenzestrasse, München


 
 
INGRID SEIDENFADEN, Abendzeitung, 03./04. Mai 1989
Magische Collage

proT: "Maiandacht" mit Wühr
 
Wenn in München die Theaterhallen sterben, das Kulturreferat den Himmel und unsere Geduld beschwört, mit dem nimmermüden Versprechen auf Abhilfe, ist der Alexeij Sagerer wieder da wie der Hase vor dem Igel und sagt erfinderisch: hier bin ich, hier ist das Unmittelbare (proT)Theater. Im bislang ungenutzen Hallen-Rohling des Atelierhauses Klenzestraße (Nr. 85), Eingang ums Eck, Baumstraße) eröffnet das proT zum dritten Mal seine Reihe "oh, oh, Maiandacht..." mit dem Münchner Poeten Paul Wühr ("Gegenmünchen") als Gast.
(...)
Es ist ganz großartig, wie der gestandene Bayern-Poet Paul Wühr seinen neuen Text liest, sich und sein Lesen zum Teil macht des schrillen, lärmend düsteren Sing-Sangs der "Maiandacht"-Zeremonie. Von Novalis' Staatspapier an den Preußenkönig dichtet er sich beschwörend in die bayerisch-deutsche Gegenwart. Der Lesende taucht auf aus der Licht- und Klang-Performance, spricht vom König, den Blumen, den Grünen und einem Herrn Weizsäcker. Eine Collage, aus der wir die Neugier auf des Dichters Worte mitnehmen: "Glaube und Liebe oder Das bayerische Staatstheater".
 
 
Paul Wühr (Italien)  -  Vlado Kristl (Hamburg)  -  Rudi Zapf + Bärbel Schmid  -  Marc Parisotto  -  Limpe Fuchs  -  Richard Krische (Graz)  -  Gert + Ruth Gschwendtner  -  GUGLHUPFA  -  Wilfried Passow  -  Peter Brötzmann (Wuppertal)  -  Paul Haywood (GB)  -  Achim Wollscheid (Frankfurt)  -  Chris Newman + Manos Tsangaris (Köln)  -  Abbie Conant  -  Holger Dreissig  -  Embryo  -  Andreas Neumeister  -  Toine Hovers (Antwerpen)  -  Maria Volk  -  Martina Werner (Worpswede)  -  Biermösl Blosn  -  Sabine Geffen (San Francisco)  -  Die "Haennings"  -  Annlies Klophaus  -  pathos transport  -  David Hudson  -  Jakob de Chirico + Paul Renner + Angelika Thomas + Guglielmo Pinna  -  Otto und Bernelli (Italien)  -  Sissy Perlinger  -  ZÜNDFUNK  -  Joern Schlund (Münster)
 
 
KARL BRUCKMAIER, Süddeutsche Zeitung, 19. Mai 1989
Die Rückkehr der rockenden Rentner

Night of Guitar, proT, Wendy & Lisa
 
(...) Nicht ewig, so doch 31 Maiennächte lang hält Alexeij Sagerer Andacht im Atelierhaus an der Münchner Klenzestrasse, derzeitige Bleibe seines proT. Und da es, wie man hört, Aufgabe des Feuilletons ist, einem möglichen Publikum den Weg zu weisen: der Eingang ins proT befindet sich in der Baumstrasse, neben dem Inder. Man sieht es dann schon. Sagerer musste seine acht Holzstempen heuer etwas tiefer hängen als noch zu den - von der proT-Halle her aus majestätischeren Alabama-Zeiten. Eine geduckte Maiandacht erwartet den Besucher, verwinkelte Architektur, störende Säulen, aber immer noch ein Alexeij, der sich zu Beginn der Feierstunde den Sagerer ins Gesicht reibt, ins Licht blinzelt, die Vision von der Vision abruft. Oder an ein Bier denkt. Theater heisst man das heute immer noch, unmittelbares Theater, aber oh, oh Maiandacht... ist mehr, ist gut. Eine Lektion in Sachen Timing, also überleben: Sagerer, wie er den Stempen grad so stark anstösst, dass er ihm nicht ins Gesicht schlägt.
 
Ein Sediment-Steinbruch: Cornelie Müller, wie sie operettenhafte Marienmelodien trällert oder kindgleich mit den Kerzen hantiert. Einschüchterung durch Professionalität: Franz Lenniger, wie er das leere Halbeglas auf den Biertisch zirkelt und an seinen Kasten Bier hinsäuft. Ein Ritenspiel. Ein lustiges Ritenspiel. Anders wäre dieses sehr bayerische, sehr katholische Verdichtungsspektakel von der verlorenen Unschuld auch nicht zu ertragen. Also Gelächter. Also jeden Tag ein special guest. Preussen und Protestanten in einer Maiandacht. Also deplaziert wie eine niederbayerische Prinzessin auf Tigerjagd. Also ein nassgespritzter Theaterwissenschaftler, der seine Hilflosigkeit in einen Surfanzug packt und mitwerkelt bei der eigenen Überflüssigsprechung. Am Tag darauf ein wie immer eleganter und souveräner Peter Brötzmann, der fast bescheiden mittönt beim Maienlied; Free Jazz, ich dich grüsse. Und in einer knappen Stunde ist alles gesagt, gezupft, gescheppert und getan: Das proT ist ein menschliches Theater. Bis zum 31. Mai. (...)
 
 
 
oh, oh Maiandacht...
 

1990 - MANEGE, Steinseestrasse 2, 8000 München 80


 
Heiner Hank  -  El Klewan  -  Wittwulf Malik  -  Franz Pröbster Kunzel  -  Gerlinde Eger  -  Martina Bieräugel  -  Zoro Babel  -  Valeri Scherstjanoi  -  Werner Gruber  -  Brüt & Co (Frankreich)  -  Marta Binetti  -  Gunther Klatt  -  Carola Heine  -  Martin Schütz (Schweiz)  -  Veronika von Quast  -  Susanne Klippel  -  Rolf Staeck  -  Siegfried Kaden  -  Elke-Meta Müller  -  Yogo Pausch  -  Ulrich Bassenge  -  Ulrike Kaiser  -  Uli Messerschmidt  -  Manfred Killer  -  Joe Sachse  -  Michael Lentz + Thomas Ventzke  -  Thomas Lehnerer  -  Gisela Rüger  -  COI  -  Uwe Neuhaus  -  Rabe Perplexum
 
 
oh, oh Maiandacht...
 

1991 - proT-ZEIT, Steinseestrasse 2, 8000 München 80


 
Billie Zöckler  -  Abbie Conant  -  Claus Biegert + John Otanto-Semmler  -  Phil Minton (London) + Alexander Frangenheim (Stuttgart)  -  Paul Lovens (Aachen)  -  Günther Beelitz  -  Gudrun Kenschner (Hamburg)  -  Faltsch Wagoni  -  Café Größenwahn  -  Gunnar Petersen  -  Wilhelm Koch (Oberpfalz)  -  Christoph Schwarz + Winny Matthias  -  Ellen Raab + Burkhard Kienzler  -  Andreas Ammer mit dem Bayerischen Rundfunk  -  Werner Puntigam (Linz)  -  Rüdiger Karl (Frankfurt)  -  Monika Manz  -  Ute Lecher + Hans Thurner (Wasserburg)  -  Nina Hoffmann  -  Imke Toksoez  -  Comedia Opera Instabile  -  Siegfried Hummel  -  BR-Fernsehen Spielzeit  -  Dagmar Rhodius  -  Robert Rutman’s Steel Cello Ensemble (Berlin)  -  Marc Boukouya (Frankreich) + Ignaz Schick (Marktl/Inn)  -  Annette Spola  -  Anna Anders  -  Holger Dreissig + Ann Gollwitzer + Matthias Hirth  -  Reiner Wiesemes  -  Nikolaus Gerhart
 
 
MANUEL BRUG, Süddeutsche Zeitung, 10. Mai 1991
Der Intendant und der Wahnsinnige

Günther Beelitz bei Sagerers Maiandacht
 
Schade, es hätte so schön schräg werden können. Das subventionierte Theater prallt mit dem unmittelbaren zusammen, der Schöne trifft das Tier, Günther Beelitz macht proT-Zeit mit Alexeij Sagerer bei der Maiandacht in der Manege. Sogar aus dem berufenen Munde von Jürgen Kolbe war zu erfahren: "Hingehn, sag ich!" Doch wie das oft mit den Wünschen: das was man am meisten ersehnt, tritt garantiert nicht ein. Und so glich, was unter dem Titel "Günther Beelitz Bayerisches StaatsSchauspiel Der Intendant" zu einem einsamen Höhepunkt der Münchner Theatersaison hätte werden können, nur einer neuen Folge der "Nachtgedanken". Zunächste sitzt der Intendant an der Bar und trinkt sich Mut an. Nach der aufmunternden Umarmung durch einen Feuilletonchef trägt ein Gedicht von Hofmannsthal vor - "ein Traditionalist auch der". Ein Traditionalist wie wer? Es bleibt keine Zeit mehr für Erklärungen, denn schon beginnen Alexeij Sagerer, Franz Lenniger und Cornelie Müller mit ihren Marien-Exerzitien. Stempen-Auspendeln, Mikrophon-Mund-Musik und die apokalyptisch-kathartischen Wasser-und-Bier-Ergüsse, aber Günther Beelitz schweigt still, lächelt versonnen. Kein Aufbegehren, kein Einwurf, kein Einspruch. Wie ein braver Abonnent sitzt der Theatergewaltige da und läßt den Bühnendonner ergeben über sich ergehen. Am Ende die schüchterne Frage aus dem Publikum: "War's das, Herr Beelitz?". "Ich glaube schon", antwortet der erleichtert und packt sein dickes Manuskript wieder ein. Aber wer weiß, vielleicht war das trotzdem der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Vielleicht erfreut uns Alexeij Sagerer, der für dieses Jahr seine letzten Maiandachten angekündigt hat, nächstes Frühjahr im Prinzregententheater mit einem neuen und gewaltigen unmittelbaren Ereignis. Nichts würden wir uns mehr wünschen.
 
 
oh, oh Maiandacht...
 
 
WOLFGANG HÖBEL, Süddeutsche Zeitung, 24. Mai 1991
Kulturreferentensimulation

Siegfried Hummel bei Sagerers "Maiandacht"
 
Der Beamte als solcher, wir wissen das aus eigener Anschauung und aus Kafkas Büchern, ist ein zerrissener Mensch. Der unauflösliche Konflikt zwischen Pflicht und Neigung verwirrt seine Sinne, der Überlebenskampf in der Amtsstube hemmt seine Wahrnehmung: Sein Blick ist vom Vorüberzieh'n der Aktenordner so trüb geworden, daß er nichts mehr hält. Nur manchmal heben sich ganz plötzlich die Stimmung und der Vorhang der Pupille - dann denkt der Beamte an die im frühen Pensionsalter lockende Pension oder an seine Macht.
 
In solchen Momenten lächelt Herr Hummel versonnen in den Spiegel und flüstert seinem Spiegelbild zu: "Die Kultur, das bin ich."
 
Siegfried Hummel, der Münchner Kulturreferent ist ein mutiger Mann: Für Alexeij Sagerers "Maiandacht" im Münchner proT hat er seine intimsten Geheimnisse öffentlich gemacht. Das Andachts-Spektakel, mit Orgelsound und Lichtgeblinker, ist bereits in vollem Gang, als Herr Hummel ins Geschehen eingreift. Im blaugelben Trainingsanzug betritt er samt Doppelgänger den magischen Kreis mit Sagerers berühmtem Holzstempen-Oktett. Der städtische Kulturbeamte kickt zwei Bälle vor sich her, dann erklimmt er die Bühne und greift zum Mikrofon, um eine seltsame Litanei aufzusagen, worin die Worte "Boulevardpresse" und "Begehren" deutlich vernehmbar sind. Dann spricht er jenen Satz, der im Zentrum seiner heimlichsten Träume steht, mit frommer Inbrunst aus: "La culture c'est moi!"
 
Der Auftritt des Kulturreferenten, mit allergrößter Spannung erwartet, ist nur kurz. Immerhin aber beweist er bisher verborgene künstlerische und humoristische Qualitäten. "Ich hab mein zweites Ich mitgebracht", sagt der Darsteller Hummel, an diesem Abend Nestroys Zerrissenem nicht unähnlich, schon vor Vorstellungsbeginn. Hummels Alter ego ist der Schauspieler Volker Prechtl, der, angetan mit grauer Perücke, den Original-Hummel mit Thomas Bernhard kreuzt: "Blicke ich dem Stadtrat ins Gesicht, blicke ich der Geschichtslosigkeit ins Gesicht." Prechtls Auftritt, eine Kostprobe aus dem Hummel-Parodieabend im TamS ("Die Einweihung der neuen Probebühne der Kammerspiele - ein Versehen") ist ein schönes Kabarettstück - und erspart Hummel im Trainingsanzug eine längere Darbietung.
 
So passabel sich der städtische Kulturwart aus der Affäre zieht, so wenig hat das alles mit Sagerers Konzept des "unmittelbaren Theaters", mit konkreter, wahrhaftiger Aktion zu tun. Hummel inszeniert sich selbst. "Des is' ja der Zimmerschied", ächzt folglich Zeremonienmeister Sagerer während Hummels Litanei, dann ist der Spuk vorüber, und das Spektakel nimmt unerbittlich seinen Lauf: Sagerer verhöhnt den gewöhnlichen Theaterbetrieb mit einer bierpanschenden Lektion als "Simulationstheater", die allerliebste Cornelie Müller singt Wundersames von der Empore herab und läßt dazu die Kerzen flackern. Bis zum 31. Mai noch ist die waghalsige Kunstübung des proT-Theaters zu bestaunen, natürlich mit täglich wechselnden Gästen. Dann ist, nach fünf Jahren, endgültig Schluß. Wer also jetzt nicht ins proT geht, den bestraft das Leben.
 
 
Die Urform

oh, oh Maiandacht - 1986


 

oh, oh Maiandacht

Urform 1986 ohne Gastkünstler
DokuMaterial - U-Matic LB - Farbe/Ton - 00:58:51 Std. - Produktion proT - 1986
 

 
Reines DokuMaterial, unbearbeitet, die gesprochenen Texte schwer verständlich wegen Mikro in der halligen proT-Halle. Mit Cornelie Müller, Franz Lenniger, Alexeij Sagerer, Lichtschaltungen: Brigitte Niklas.
 
 
oh, oh Maiandacht...
 
 

oh, oh Maiandacht
Kompositionselemente


(Auswahl)
 
 

Die unbefleckte Empfängnis


Vorbeter mit Grossmutter-Perücke - Text über Mikro

 

 
Da hab ich zum Pfarrer gsagt, ich hab eine Erleuchtung ghabt, heut Nacht, dass ich die Muttergottes bin, die wieder auf die Welt gekommen ist, um ihren Mantel auszubreiten. Da hat er mir zwischen die Beine gelangt und ist wie ein Wilder umeinandergefahren, bis ich immer narrischer gschnauft hab und es kaum noch aushalten kunnt. Du kannst nicht die Muttergottes sein, hat er gsagt, weil du eine Sünderin bist, und hat mir eine Watschn gebn. Und wie ich dann Nasenbluten ghabt hab, hat er nur gemeint, glaub ja nicht, dass das jetzt eine Stigmatisation ist. Und nicht einmal wenn dich ein Schäferhund zreisst, ist das was Heiliges, weil sowas nur deswegen immer wieder passiert, weil eine Frau mit einem Schäferhund einfach nicht gscheid umgehn kann. Da hab ich ihm aber grad erst recht noch erzählt, dass mir vor einigen Jahren schon mal geträumt hat, dass ich eine schwarze Muttergottes in so einer halberten Glaskugel gewesen bin und wenn man mich umgedreht hat, dann hats um mich geschneit. Da hat er gsagt: Mir hat auch schon mal geträumt, dass ich ein Eisstock bin, der über ein weites Eis dahinrutscht und am Schluss ist einer gstandn und hat mir ein Blech draufghaut und ich hab mir am nächsten Tag auch nichts dabei gedacht. Da hab ich ihn gfragt, ob die künstliche Befruchtung eine unbefleckte Empfängnis wär. Da hat er so gschaut und gmeint, dass des höchstens ein Engel machen könnt. Aber wenn ich schwanger wär, dann wüsst er schon, woher des kommt. Und da hab ich dann lieber mit dem Fragen aufghört, obwohl ich noch einiges ghabt hätt. Z.B. mit der Himmelfahrt und der Rakete und den explodierenden Frauen. Aber ich wollt gar nicht mehr wissen, was er da wieder gsagt hätt.
 
 

Die Wasser und Bierschüttung!


Simulationstheater als Unmittelbares Theater in 4 Akten à 8 Szenen


 

 
 
Vorhang auf

1. Akt


Scheinwerfer weiss | Neon gelb | Musik
 

1. Szene


 
kurz darauf

2. Szene


10 Minuten später

3. Szene


1 Jahr später

4. Szene | Wasser


kurz darauf

5. Szene


etwas später

6. Szene

(eine lange Szene)

5 Jahre vorher

7. Szene | Wasser


im Sommer darauf

8. Szene


Vorhang

 
 
nach einer kurzen Pause
Vorhang auf

2. Akt


Neon grün | Scheinwerfer grün | Musik
 

 

1. Szene


im Wald
 

2. Szene


in der Klinik
 

3. Szene


daheim
 

4. Szene | Wasser


 

5. Szene


im Wald
 

6. Szene


in der Klinik
 

7. Szene | Wasser


 

8. Szene


daheim
Vorhang

 
 
nach einer langen Pause
Vorhang auf

3. Akt


Neon blau | Scheinwerfer rot | Musik
 

1. Szene


Wolken
danach

2. Szene


Sonne
 

3. Szene


Wolken
 

4. Szene | Wasser


 

5. Szene


im Freien
 

6. Szene | Wasser


 

 

7. Szene - vor 2000 Jahren


 

8. Szene - nach 2000 Jahren


Vorhang

 
 
unmittelbar darauf
Vorhang auf

4. Akt


Neon rot | Scheinwerfer blau | Musik
 

1. Szene


Monolog
 

2. Szene


Die Geburt
 

3. Szene


Monolog
 

4. Szene


nachts
 

5. Szene


am Tag darauf
 

6. Szene


am Tag vorher
 

7. Szene | Wasser


 

 

8. Szene | Wasser


Schlussvorhang
 
 
 
 

Heller Raum im Dunkeln


 

 
 

Presse Auswahl


 
Wolfgang Höbel
Kulturreferentensimulation
in: Süddeutsche Zeitung, 24. Mai 1991
 
Manuel Brug
Der Intendant und der Wahnsinnige
in: Süddeutsche Zeitung, 10. Mai 1991
 
Helmut Schödel
Der wilde Mann des Münchner Theaters und seine einunddreißig Maiandachten
in: Der Standard, Wien, 19./20. Mai 1990
 
Karl Bruckmaier
Pop & Rock im Mai - Night of Guitar, proT, Wendy & Lisa
in: Süddeutsche Zeitung, 19. Mai 1989
 
Ingrid Seidenfaden
Magische Collage
in: Abendzeitung, 03./04. Mai 1989
 
 
 
 
 
 
 
SEITEN - ABSPANN
 

Lust auf proT - proTshortcuts auf YouTube


proT-shortcuts auf YouTube sind intensive Film-Ausschnitte von oder mit proT: Theaterdokumentationen, live-film, Unmittelbarer Film ... oder kurze proT-Filme wie Film-Comics, Vorfilme, Werbefilme ...
 
 

proT auf YouTube: proTshortcuts


Inzwischen über 170.000 Views angeführt von den 4 FAVORITES mit je über 10.000 Aufrufen: Tanz in die Lederhose: 25.799 Views, Vorfilm für Voressen: 17.392 Views, Frau in Rot: 13.852 Views und Ottfried Fischer hustet Alexeij Sagerer: 10.165 Views. (Stand 14.05.2024) und siehe auch Rote Wärmflasche tanzt auf Platz 5 mit überraschenden 8165 Aufrufen, Maiandacht mit 7742 Views, Erste Bierrede zur Kunst mit 5263 Views ...
 
 

Werkverzeichnis I


Alexeij Sagerer, proT  —  Produktionen
 
 

Werkverzeichnis II


Alexeij Sagerer, proT  —  Festivals, Ausstellungen, Screenings, Beteiligungen, Auszeichnungen, öffentliche Ankäufe (Auswahl)
 
 

Werkverzeichnis V


über Alexeij Sagerer, proT  —  Literatur und Presse (Auswahl)
 
 

FILMPRODUKTIONEN


ab 1969 bis jetzt
 
 

DIE SYNCHRONISATOREN


Filmproduktionen für den VierVideoTurm 1985 bis 1996
 
 

THEATERDOKUMENTATIONEN


ab 1969 bis jetzt
 
 

proT – jetzt!


Aktuelle Meldungen – letzte Bearbeitungen
 
 

proT@proT.de
e-mail an proT und Alexeij Sagerer